Kurt Tucholsky: Deutschland, Deutschland über alles

Vor 90 Jahren, am 07. Mai 1933 – dem „Tag der deutschen Jugend“, fand in Rosenheim eine der vier oberbayerischen Bücherverbrennungen (München, Rosenheim, Wasserburg, Landsberg) auf dem Rosenheimer Max Josefs Platz statt. Um 19.30 Uhr marschierten HJ, BDM und Jungvolk unter den Klängen der SA-Kapelle vor der Marienapotheke auf. Der NSDAP-Parteiredner Hans Cramer rief laut Lokalpresse in einer agitatorischen Rede zur Vernichtung von marxistischer Schundliteratur auf und wird mit den Worten „diese lodernden Flammen mögen auch in Euren Herzen, deutsche Jugend, ein Feuer entzünden, das alles reinigen, allen Schmutz vernichten soll“ zitiert (https://www.stadtarchiv.de/stadtgeschichte/rosenheim-im-20-jahrhundert/1930-1939/buecherverbrennung/). Welche Bücher in Rosenheim verbrannt wurden ist nicht genau bekannt. 15 Autoren wurden aber für alle Verbrennungen im Reich verbindlich gemacht, darunter Kurt Tucholskys „Deutschland, Deutschland über alles“ (1929) – unser Medium des Monats. Unter dem Feuerspruch: „gegen Frechheit und Anmaßung“ wurde es in die Flammen geworfen. (vgl. https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/B%C3%BCcherverbrennungen_(1933) )

Das Buch mit Kommentaren/Texten von Kurt Tucholsky zu John Heartfields Fotomontagen ist 1929 erschienen. In einer „Vorrede“ erklärt Tucholsky, was die Foto-Text-Zusammenstellungen verbindet: Dieses Buch “will aber versuchen, aus Zufallsbildern, aus gewollten Bildern, aus allerhand Photos das Typische herauszuholen, soweit das möglich ist. Aus allen Bildern zusammen wird sich dann Deutschland ergeben – ein Querschnitt durch Deutschland“ (S.12).

Für uns ist das Buch nicht nur ein wichtiges Zeitdokument über die „goldenen zwanziger Jahre“, es ist vielmehr auch eine Warnung für die Gegenwart. Wer will kann es nicht nur in der Bibliothek_A sondern auch digital einsehen: https://archive.org/details/DeutschlandUeberAlles/mode/2up

Die Bücherverbrennung hatte Vorläufer. Bereits nach den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 fanden im März und April erste Bücherverbrennungen im Zuge der Ausschaltung demokratischer Institutionen und politischer Gegner statt. SA und SS griffen u. a. Partei- und Verlagshäuser der Sozialdemokrat:innen und der Kommunist:innen an und verbrannten die dort lagernden Bücher und Schriften. In Rosenheim ist dies nicht dokumentiert, doch bereits am 15. März 1933 „überprüften“ SS-Leute und Hauptwachtmeister Johann Baumann die Arbeiterbibliothek im Rückgebäude des Hauses Münchnerstraße 40. Nach dem Verbot sogenannter marxistischer Vereine (29. März 1933) drangen im Rahmen einer reichsweiten Durchsuchungs- und Beschlagnahmungsaktion am 4. April 1933 erneut Polizei (u.a. Kriminalkommissar Putz) und SA-Männer in die Bibliothek ein und beschlagnahmten alle 1070 Bücher. 70 Jahre später (im April 2013) haben wir in der Rosenheimer Innstraße 45a mit der Bibliothek_A eine kostenlos nutzbare Bibliothek in der Tradition der Rosenheimer Arbeiterbibliothek eröffnet und führen diese seither ehrenamtlich.

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