Unser Medium des Monats Oktober: Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß

Am Sa, 22.10.22 (18:00 Uhr) kommt Manja Präkels nach Rosenheim und liest aus ihrem mehrfach ausgezeichneten1 Buch „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“. Dieses Buch ist auch unser Medium des Monats Oktober. Präkels beschreibt in ihrem im Verbrecher Verlag erschienen Debütroman das Ende der DDR und den Aufstieg rechter Gruppen in Brandenburg.

Unser Medium des Monats Oktober: Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß

Mimi und Oliver sind befreundete Nachbarskinder in einer kleinen ländlichen Stadt an der Havel. Als Kinder berauschen sie sich auf Familienfesten heimlich mit Schnapskirschen. Aber mit dem Fall der Mauer entfremden sich die beiden immer weiter voneinander. Die Ich-Erzählerin Mimi Schulz muss zusehen, wie sich Oliver im rechten Milieu radikalisiert, unter dem Spitznamen „Hitler“ eine randalierende Jugendbande anführt und den lokalen Drogenhandel kontrolliert. Auf der Frankfurter Buchmesse 2018 wurde die in der „Havelstadt“ Zehdenick geborene Manja Präkels (1974) von der damaligen Bundesfamilienministerin Franziska Giffey als Gewinner des Deutschen Jugendliteraturpreises3 auszeichnete. In der Jurybegründung4 heißt es:

„Präkels faszinierender, autobiografisch gefärbter Roman erzählt mit dokumentarischer Genauigkeit vom Aufwachsen in der DDR, den Vorboten der Wende und ihren Folgen. (…) Vor allem erzählt Präkels aber davon, wie rechtes Gedankengut, Wut und Hass in der einstmals ländlichen Idylle um sich greifen, wie aus Kinderfreunden Täter, wie aus Oliver „Hitler“ werden konnte.“ Und weiter: „All dies gelingt ihr mit einer mal sachlichen, mal poetischen Sprache, die den Lesern Mimis Kindheitserinnerungen ebenso anschaulich vor Augen führt wie die zunehmende Beklemmung und Angst angesichts rechter Gewaltexzesse in der Wendezeit.“

Wir wissen nicht, warum das Buch explizit ein „Jugendbuch“ sein soll. Zwar beschreibt es die Jugend in der ostdeutschen Provinz, in der sich Mimi immer wieder mit extrem rechten Jugendlichen, welche Mimi „die Gorillas“ nennt, auseinandersetzen muss. Aber machen Jugendliche Hauptprotagonisten ein Roman zu einem Jugendroman? Der Roman ist es eine Geschichte aus der ostdeutschen Provinz, mit vielen Horrormomenten, von den Wendejahren bis in die Jetztzeit, wie sie die Autorin in den Neunzigerjahren erlebte. „Im Buch ist es verdichtet und zugespitzt, aber wahr.5. Die besonders verstörenden Geschichten habe sie jedoch ausgelassen, sagt die Autorin der Süddeutschen Zeitung. „Weil ihr dafür die Sprache fehle6.“Der Roman ist also vielmehr ein literarisch aufgewerteter Zeitzeuginnenbericht über die Brutalität der „Baseballschlägerjahre“, welche für alle Altersgruppen lesenswert ist. Auch erklärt Präkels die rechte Gewalt, den Rassismus und den Hass nicht platt mit dem „Untergang der DDR“, sondern beschreibt anschaulich die gefährliche Gemengelage – auch mit dorfgeschichtlichen Hintergründen der Vorwendezeit (Todesmärsche, NSDAP-Kader, Verachtung angolanischen Vertragsarbeiter*innen zu DDR Zeiten, usw.) -, aus der heraus nicht nur im Heimartort Mimmis die Rechten Oberhand gewinnen.

Die Lesung, passt also hervorragend in die Veranstaltungsreihe „Rostock, Rosenheim, Kolbermoor … -Antirassismus bleibt notwendig“7, nicht zuletzt weil auch die rassistischen Pogrome von vor 30 Jahren thematisiert werden

„Sommer.

Ihre Truppen versammeln sich vor dem Rathaus. Sie verteilen sich auf Autos. Sie ziehen in den Krieg. Später im Fernsehen: Das Haus mit der Sonnenblume brennt. Tausende triumphieren. Der Vater stellt den Apparat aus.“

(S. 151)

Viele Erzählstränge sind nicht nur aus historischer Perspektive, sondern auch für eine heutige Analyse neuere gesellschaftlichen Ereignisse interessant. Mimmi wird Redakteurin bei der Lokalzeitung, Herausgeber dieser Zeitung ist ein „Dr. Hieronymus Gaul“. Das ist vermutlich eine Anspielung auf Alexander Gauland. Manja Präkels war bis 1998 als Lokalreporterin bei der Märkischen Allgemeinen tätig, von 1991–2005 war Alexander Gauland Herausgeber dieser Zeitung. Mit diesem Wissen sollte man auch Zeilen wie diese lesen:

»Frau Schulz, es ist mir zu Ohren gekommen, dass Sie im Fall Brüning recherchieren …« Er hatte es getan. Pascal hatte mich beim großen Boss verpetzt.
Hieronymus Gaul war wieder zu einer Stippvisite aufgetaucht und gönnerhaft durch das Büro geschritten. Nun saß er auf dem Chefsessel und schaute mir kampflustig in die Augen. Er beobachtete meine stumme Empörung, den kurzen Blick, den ich Pascal zuwarf, mein Zögern und Nachdenken. Lässig lehnte sich der Herausgeber zurück und ließ mich keine Sekunde aus den Augen. Die Schablowski, Kasimir, selbst die semmelblonde Sekretärin, alle wirkten seltsam entspannt. Diesmal träfen Thors Blitze nicht sie. »Das ist der falsche Ansatz. So binden wir das Volk doch nicht an uns! Was haben Sie sich bloß dabei gedacht?« Mein Mund war so trocken, dass sich die Zunge wie ein dicker Fremdkörper anfühlte. Dafür hinterließen meine Handflächen dunkle Abdrücke auf der Jeans. Mögliche Entgegnungen schossen kreuz und quer durch meinen Kopf, aber nichts schien Sinn zu ergeben. Mein Herz stolperte. Doktor Gaul fand nichts Spektakuläres an der Geschichte. Gut, der aus dem Gefängnis entlassene Obersturmbannführer Brüning wohnte wieder bei seiner Familie. Und an den Wochenenden hielt er Vorträge vor jungen Kameraden. »Lassen Se das, junge Frau. Machen Se was mit Kultur.« (S. 206 )

Das Buch ist im Übrigen u.a. Ingo Ludwig (S. 5)8 gewidmet, welcher 1992 in Zehdenick (Brandenburg) von Nazisskins bei einem Überfall auf die Diskothek Wolfshöhle ermordet wurde. Manja Präkels hat in der Figur Krischi wahrscheinlich den verstorbenen Ingo Ludwig dargestellt und auch den Überfall auf die Wolfshöhle, bei dem sie Augenzeugin war, beschrieben:

„Etwas wirbelte die Menschen durcheinander. Grelle Mädchenstimmen schrien – Urlaute, keine Worte. Dann sahen wir sie. Erst einen, zwei, etwa zehn, fünfzehn Uniformierte. Glatzen, grüne Bomberjacken, Springerstiefel. Ich erkannte die Angreifer sofort. Sie trugen Baseballschläger, und jeder, der sie sah, rannte weg, versuchte zu entkommen. Körper verkeilten sich im schmalen Gang, der zum Hof führte. Neben mir riss jemand das Fenster auf, eisiger Wind erfasste mich, dann der Sog der Umstehenden, die zu der Öffnung strebten, zur Dunkelheit, die ihren Sprung verschlucken würde. Kreischen erfüllte den Saal. Keulen sausten auf Rücken, Hände, Hälse. Ich sah Zottel, wie er zwei Fenster weiter, in der äußersten Ecke, auf das Brett stieg und sprang. Andere folgten. Ich kletterte über die Tische, kämpfte mich durch Haufen erstarrter Menschen, stieg hinauf, stand im Fensterkreuz, und jemand schrie mir zu: ‚Spring!‘ Ich ließ mich einfach fallen, landete mit einem Knall auf dem Blech der Mülltonnen, sprang nochmals hinunter, auf die unebene Erde. Im Schein der Lichter, die den Eingangsbereich zur Diskothek erhellten, sah ich, wie sich das Grün der Bomberjacken in die dunkle Gegenmasse der Türsteher und Dorfb wohner verkeilte. Die Stimme, die mich zum Sprung ermutigt hatte, rief mir zu: ‚Hierher!‘(S. 147).

Der Verein Opferperspektive beschreibt diesen Fall in seiner Chronik „Todesopfer rechter Gewalt“ als „Verdachtsfall“:

Am Abend des 5. Januar 1992 geht er in die Diskothek „Wolfshöhle“ im Granseer Ortsteil Klein-Mutz. Im Laufe des Abends greift eine Gruppe aus mehr als einem Dutzend rechter Skinheads mehrere Besucher_innen dieser Diskothek an. Unter den Angegriffenen ist auch Ingo Ludwig. Mindestens einer der Täter versetzt ihm mehrere Fußtritte mit „Docs“, Schuhen mit Eisenspitzen. Laut einer Polizeimeldung wird er dabei so schwer im Gesicht, am Hals und am Körper verletzt, dass der gerufene Arzt nur noch den Tod feststellen kann.9

Die Bundesregierung weigert sich bis heute Ingo Ludwig als Todesopfern rechter Gewalt anzuerkennen. Ingo Ludwig ist jedoch kein Einzelfall: Bis 30. September 2020 erkannte die Bundesregierung für den Zeitraum seit 1990 lediglich 109 Morde als rechts motiviert an (u.a. Carlos Fernando – Kolbermoor). Die Amadeu Antonio Stiftung (AAS) zählt aktuell (2022) mindestens 218 Todesopfer rechter Gewalt in Deutschland seit 1990 und 17 Verdachtsfälle (u.a. Ludwig).10

Die Lesung mit Manja Präkels findet am Samstag, den 22. Oktober um 18 Uhr im Z – linkes Zentrum in Selbstverwaltung (Innstr. 45a, Rosenheim) statt. Im Anschluss an die Lesung steht die Autorin beim gemeinsamen Essen für Fragen und Diskussionen zur Verfügung.

1Für ihren Roman erhielt Manja Präkels u.a. den Jugendliteraturpreis 2018, den Anna-Seghers-Preis 2018 und das Kranichsteiner Jugendliteratur-Stipendium 2018.

2https://www.verbrecherverlag.de/book/detail/908

3Jedes Jahr erscheinen ca. 8.000 Titel auf dem deutschsprachigen Kinder- und Jugendbuchmarkt. Hilfe bei der Orientierung bietet der Deutsche Jugendliteraturpreis. Seit 1956 zeichnet der Preis jährlich herausragende Werke der Kinder- und Jugendliteratur aus. Er ist mit insgesamt 72.000 Euro dotiert, wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gestiftet und vom Arbeitskreis für Jugendliteratur ausgerichtet.

4https://www.jugendliteratur.org/buch/als-ich-mit-hitler-schnapskirschen-ass-4137-9783957322722/

5https://www.sueddeutsche.de/kultur/reportage-zurueck-in-zehdenick-1.3785516

6https://www.sueddeutsche.de/kultur/reportage-zurueck-in-zehdenick-1.3785516

7https://antirassismusbleibtnotwendig.rosenheim.social/

8https://www.verbrecherverlag.de/files/Pressefahne_Praekels-Schnapskirschen_Leseprobe.pdf

9https://todesopfer-rechter-gewalt-in-brandenburg.de/ingo-ludwig/

10https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/todesopfer-rechter-gewalt/

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