Medium des Monats: Arbeiterwiderstand in Südbayern

Unser Medium des Monats November/Dezember ist das im August erschienene Büchlein „Skizzen – Arbeiterwiderstand in Südbayern“ von Max Brym. Der Autor wird am Sonntag, den 04.12.22 im Rahmen der Filmvorführung von „Das rote Burghausen – Widerstand gegen das dritte Reich“3 im Rosenheimer linken Zentrum (Innstr. 45a) referieren.

„Arbeiterwiderstand in Südbayern – im Umland der „Hauptstadt der Bewegung“ und der „Reichsparteitage“ der Nazis? Ja, den gab es und er verdient eine eingehende Betrachtung. Dies jedenfalls kann man den Dokumenten entnehmen, die Max Brym eingesehen hat. Während die Geschichte der Arbeiterbewegung Weimars und ihr Widerstand gegen das NS-Regime in der ehemaligen Reichshauptstadt gut dokumentiert sind und auch in anderen großen Zentren wie Dortmund oder Hamburg darüber viel bekannt ist, sieht es in den kleineren Städten oft anders aus. Manchmal gibt es Geschichtswerkstätten oder eine gepflegte „oral history“. Manchmal bleibt jedoch das meiste unter dem berühmten Teppich. Der große Vorzug der Abhandlung Bryms besteht darin, ein Bild erstellt zu haben, das den ganzen Raum der Region erfasst“.

Mit diesen Worten wird das Buch von dem kleinen Berliner Verlag „Die Buchmacherei” (welcher seit über fünfzehn Jahren Buchprojekte zu Arbeiter:innenbewegung veröffentlicht) beworben.

Max Brym skizziert in dem 80 Seiten dünnen Buch den Arbeiter:innenwiderstand gegen die Nazis in Südbayern mit Beispielen aus Bad Reichenhall, Traunstein, Penzberg, Straubing, Burghausen, München und eben auch der Region Rosenheim. Auf Seite 29 thematisiert Brym kurz die Rolle Josef Estermanns, der im Widerstand gegen den Nationalsozialismus war. Der Wasserburger(Mitglied der KPD, zeitweise der SPD) wurde im Mai 1945 durch die amerikanische Militärregierung zum Landrat des Landkreises Wasserburg am Inn ernannt (vgl. ausführlicher: https://www.historisches-lexikon-wasserburg.de/Josef_Estermann). Auf den Seiten 31/32 heißt es dann zum kommunistischen Antifaschistischen Widerstand in Rosenheim:

„Nach dem 9. März 1933 wurden 28 bekannte kommunistische Funktionäre in Rosenheim in Schutzhaft genommen. Das erschwerte die Lage und machte es kompliziert, den Widerstand wieder aufzubauen. Nichtsdestotrotz gelang es den nachrückenden Kadern der KPD wieder eine örtliche Leitung zu bilden, die mit einer Unterbezirksleitung verbunden blieb. Ziemlich schnell wurden im Frühjahr 1933 wieder Beziehungen zur Bezirksleitung in München hergestellt. Illegale Schriften wie die Neue Zeit kamen in Rosenheim zur Verteilung – organisiert von den Dreier- und Fünfergruppen in Kolbermoor und Bruckmühl. Oftmals reiste Johann Kirchmeier für die Bezirksleitung nach Rosenheim und überbrachte den dortigen Mitgliedern die Richtlinien und die Anweisungen der Bezirksleitung Südbayerns. Das illegale Material wurde öfter durch jugendliche Mitglieder der Arbeitersportbewegung per Fahrrad nach Rosenheim transportiert und an KPD-Mitglieder aus Rosenheim, Kolbermoor und Umgebung weitergegeben. Im Jahr 1935 hatte die Gruppe aus Rosenheim und Kolbermoor rund 40 Mitglieder. Die sorgte dafür, dass die Gestapo immer wieder illegal verteilte Schriften in Rosenheim und Umgebung feststellen musste. Nach der Rückkehr von Hermann Liebig aus dem Konzentrationslager nach Rosenheim im Februar 1935 nahm die Aktivität der illegalen Gruppen weiter zu. Der erfahrene Funktionär Liebig stellte wiederum feste Verbindungen nach Traunstein und Bad Reichenhall her. Doch im Frühjahr 1935 gelang es der Gestapo auch in Rosenheim, Kolbermoor und Bruckmühl, wiederum durch maßgebliche Informationen des Spitzels Max Troll, viele Kommunisten zu verhaften. Insgesamt wurden 34 Personen festgenommen und vor Gericht gestellt. Auch hier war die soziale Zusammensetzung eindeutig. Die Verhafteten, darunter acht Personen aus der roten Hochburg Kolbermoor, waren mehrheitlich einfache Arbeiter (dazu Schlosser, Schmiede, Spengler), was deutlich zum Ausdruck brachte, wo das soziale Zentrum des Widerstands lag. Das Bürgertum hielt sich vornehm zurück. Nur wenige Intellektuelle beteiligten sich an den Aktivitäten des kommunistischen Untergrundes.“

Der Buchtitel „Skizzen“ ist treffend gewählt, denn das Buch erhebt nicht den Anspruch einer Gesamtdarstellung. Schicksale wie die des KPD & Rote Hilfe Aktivisten Johann Vogl oder des Gewerkschafts- und KPD Aktivisten Ewald Thuni5 sind nicht thematisiert. Auch der am 29.7.1923 von der KPD im ganzen Reich und auch in Rosenheim organisierten „Antifaschistensonntag“, an dem die Nazis und Helfershelfer als Reaktion darauf das Rosenheimer Gewerkschaftshaus stürmten und den Gewerkschafter Georg Ott (SPD Mitglied) ermordeten, bleibt unerwähnt (vgl. Miesbeck 1994, S. 171 und Stäbler 1992, S. 219). Auch keine Hinweise gibt es auf die Proteste gegen den „Ersten Oberbayerischen Gautag der NSDAP“, der am 31. August und 1. September 1929 in Rosenheim stattfand. Schade ist auch, dass der Autor nicht wie für ein wissenschaftliches Sachbuch üblich mit Quellenangaben arbeitet: Eventuell ist dies dem Umstand geschuldet, dass das Buch aus mehreren Vorträgen besteht (u.a. zu dem in Mauerkirchen bei Bad Endorf geborenen Hermann Frieb).

Aus Rosenheimer Sicht interessant ist jedoch der dargestellte SPD interne Konflikt zwischen Hans Dill und dem Rosenheimer Waldemar von Knoeringen (welcher die Rosenheimer Arbeiterbibliothek, in deren Nachfolge wir uns sehen, gründete). So heißt es auf S. 73:

„Der Konflikt zwischen Hans Dill und Waldemar von Knoeringen

Die SPD hatte, ähnlich wie die KPD, Illusionen über die Dauer und die Festigkeit der faschistischen Diktatur. Der für Nordbayern zuständige ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete und Reichstagsabgeordnete Hans Dill repräsentierte den Kreis älterer aber widerstandsbereiter SPD-Funktionäre. In der Emigration hatte er öfter Differenzen mit Waldemar von Knoeringen. Während Dill auf den massiven Vertrieb der illegal nach Bayern eingeschleusten Zeitung Sozialistische Aktion setzte, warnte Knoeringen vor „Verlusten und Gestapo-Zugriffen bei der Verbreitung der Zeitung“. Nach der Konzeption des „Roten Barons“ sollten hauptsächlich theoretische Schriften bzw. Schulungsmaterial zur Verteilung kommen, um die Mitglieder bei der Stange zu halten und sie zu bilden“. Dill hingegen – er stammte aus der SPD-Hochburg Nürnberg – vertrat eine andere, scheinbar offensiver Herangehensweise. Wobei der „Rote Baron“ nichts gegen die nächtlichen Aktionen der tapferen Jugend hatte, aber sehr wohl etwas gegen die massive Verbreitung der Zeitungen. Außerdem spielte der Altersunterschied zwischen Dill (geb. 1887) und Knoeringen (geb.1906) eine nicht zu unterschätzende Rolle. Dill war jede Art von Abweichung von der Linie fremd und des Öfteren warf er den Südbayern Linksradikalismus“ vor, ohne allerdings über die Tätigkeit von „Neu Beginnen“ genau Bescheid zu wissen. Angeleitet wurde von Knoeringen durch den „Neu Beginnen“-Sekretär Karl Frank aus Wien.“

Insgesamt nimmt das Büchlein mit etlichen Beispielen den vielfältigen, in der lokalen Geschichtsschreibung oft vernachlässigten, Widerstand der südbayerischen Arbeiter:innen in den Fokus. Es ist ein anerkennendes Gedenken an Mut und Standfestigkeit jener Aktivist:innen der sozialistischen Arbeiterbewegung, welche erbitterten Widerstand gegen die Machtübertragung an den deutschen Faschismus geleistet haben. Brym zeigt sowohl Ansätze politischer Klugheit örtlicher Gruppen, die sich über die Fehleinschätzungen ihrer Führungen hinwegsetzen und eigenes Vorgehen ausprobierten, als auch die Fehler des sich gegenseitig Bekämpfens der beiden Arbeiterparteien („die Parteileitungen von SPD und KPD im fernen Berlin ergingen sich bis 1933 wesentlich darin, sich gegenseitig zu beschimpfen. Die Sozialdemokrat:innen nannten die Kommunist:innen ‚Kommunazis‘, die kommunistische Parteileitung beschimpfte die Sozialdemokratie als angebliche ‚Sozialfaschisten‘.“ S. 5f).

Die vorliegende kleine Geschichtsexkursion legt nahe, sich erneut zu vergegenwärtigen, dass der Faschismus eine Gefahr bleibt. Für ein heutiges Engagement gegen faschistische Strömungen ist ein Bewusstsein über die Irrwege des historischen antifaschistischen Kampfes wichtig. Und so endet diese Buchempfehlung nicht nur mit der Empfehlung, die Veranstaltung am 04.12.22 zu besuchen sondern auch mit dem letzten Satz des Autors im Buch:

„Eine Wiederholung dieser Erfahrungen zu verhindern, bleibt bis heute eine Herausforderung, die sich vor allem der heutigen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung stellt.“ (S. 80).

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